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Rhein-Hunsrück-Zeitung vom 24.11.2005

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Lenin: Von der Reitz-Figur zur Reizfigur

Die Kunststoff-Statue aus "Heimat 3" ist an ihrem derzeitigen Standort Alterkülz wenig beliebt - Abtransport nach Simmern ist nicht ausgeschlossen

Dem Filmemacher Edgar Reitz diente er als Kulisse, nun ist er aber zu einer realen Reizfigur geworden: die Statue des Revolutionsführers Lenin. Nach einigen Zwischenstationen in Simmern ist der Kunststoff-Mann in Alterkülz gelandet. Doch die Einwohner wollen den Vater der kommunistischen Diktatur nicht haben.

ALTERKÜLZ. Was passiert mit der Hunsrücker Version von Wladimir Iljitsch Uljanov, gemeinhin besser bekannt als Lenin? Im Filmepos "Heimat 3" von Edgar Reitz diente die vier Meter hohe Statue als Kulisse - als Kunststoff gewordenes Relikt einer vergangenen Zeit. Vor dem Simmerner Schloss wurde Lenin als Werbeträger umfunktioniert und diente mehrere Monate lang als Blickfang für die "Heimat-Ausstellung" im Hunsrück-Museum, bis er aus ideologischen Gründen in Ungnade fiel und nach Zwischenstationen in Alterkülz landete.

Doch auch dort will man die Lenin-Statue nicht mehr haben. Schon während die Statue mit gebieterisch ausgestrecktem Arm für die "Heimat-Ausstellung" vor den historischen Mauern des Neuen Schlosses in Simmern warb, war die Figur manchem Simmerner suspekt. Anders als begeisterten Heimatfans, die zum Teil von weit her kamen auf ihrer cineastischen Spurensuche quer über den Hunsrück und zum Mittelrhein.

Nach dem Ende der Dreharbeiten zu Heimat 3 im Sommer 2004 hatte der Rhein-Hunsrück-Kreis Teile des Filmfundus von der Filmgesellschaft gekauft. Zur weiteren touristischen Vermarktung sollten Kostüme, Accessoires, Fotos und diverse Requisiten in der Kinosammlung des Hunsrück-Museums und des Günderodehauses auf den Rheinhöhen bei Oberwesel der Öffentlichkeit präsentiert werden. Während die Simmerner Ausstellung zur Filmpremiere im November 2004 eröffnet wurde, wartet man am Rhein bis heute auf die versprochene Schau.

Angebote, den Lenin vor dem Fachwerk des Günderodehauses aufzustellen, waren schon im Vorfeld von den Rheinländern abgelehnt worden. Also landete die Filmfigur auf dem Simmerner Schlossplatz, von dem sie im Dezember 2004 wieder verschwand, weil sie die vorweihnachtliche Idylle störte.

Danach erhielt Lenin nochmals eine öffentliche Gnadenfrist bis Ende April 2005. Um ihn vor Untaten der Maihexen zu schützen, verfügte Bürgermeister Manfred Faust den Abtransport zum Simmerner Bauhof. In diesem Provisorium verblieb die Statue auf nimmer Wiedersehen. Denn Faust beugte sich zwischenzeitlich Bürgerprotesten, die sich gegen den Lenin mitten im Herzen von Simmern aussprachen.

Der Alterkülzer Steinmetz Eckard Braun, in der Szene besser bekannt unter dem Namen "Griffel", hatte dann die Idee, den Vier-MeterMann publikumswirksam am Schinderhannes-Radweg gegenüber seinem Betrieb am Ortseingang von Alterkülz aufzustellen. "Dort kommen viele Touristen vorbei, hier kann er Werbung für das Museum machen", war seine Überlegung. Die Aufmerksamkeit wollte er aber auch für sein eigenes Sammelsurium nutzen.

Der Alterkülzer Bürgermeister Horst Peuter war aber wenig begeistert von der Denkmal-Aktion. "Was haben wir hier mit Lenin zu tun?", war seine erste Frage. Bei den Bewohnern im Külztal regte sich ebenfalls Protest. "Ich hatte viele Anrufer, die sich beschwerten." Zudem stand die Rei(t)zfigur auf öffentlichem Gelände und wurde ohne Absprache mit dem Gemeinderat installiert. Die dazu einberufenen Volksvertreter verfügten die Entfernung. Steinmetz Braun erhielt eine Frist bis zum kommenden Wochenende.

Am ersten Adventssonntag findet nämlich ein Konzert des Gemischten Chores statt. Und das sollte auf keinen Fall von dem Anblick des überlebensgroßen Revolutionärs gestört werden. Gestern Nachmittag war noch unklar, was mit dem Kunstoff-Mann passiert. Zwei Möglichkeiten werden diskutiert. Entweder wird er mitten in die Ausstellung des Steinmetzes gestellt oder er kommt, von aller Öffentlichkeit abgeschirmt, zurück in den Simmerner Bauhof.    Werner Dupuis


Pro

Lenin ist nur ein Plastikmann

 Werner Dupuis unterscheidet

zwischen Realität und Fiktion

In der Betrachtung des Reitz"schen Lenin muss ich den Kritikern eine völlig falsche Sichtweise attestieren. Eindimensional verbinden sie damit Kommunismus und Gewaltherrschaft, fühlen sich auch 16 Jahre nach dem Fall der Mauer immer noch von deren Symbolen, der damit verbundenen Niederlage der kommunistischen Ideologie und dem Ende des kalten Krieges bedroht. Dabei verwechseln sie Fiktion mit Wirklichkeit. Dieser Lenin stand niemals auf einem öffentlichen Platz, war kein Mittelpunkt staatspolitischer Heldenverehrung und Klassenkampfs. Aus Kunststoff gegossen diente der Vier-Meter-Mann ausschließlich als Filmkulisse, war Randfigur in Heimat 3. Auf dem Schlossplatz stehend, war der Plastik-Lenin ein Blickfang für die Heimat-Ausstellung im Hunsrück-Museum. Begeistert ließen sich die bundesweit angereisten Heimatfans davor ablichten, bevor sie auf Heimat-Exkursion gingen. Schade, dass Bürgermeister Faust ihn verbannte. Irgendwie hat er dem langweiligen Schlossplatz gut getan, gab ihm den Hauch des Ungewöhnlichen.


Contra

Verhöhnung der Millionen von Toten

 Oskar Benz will

keinen Lenin im Hunsrück

Lenin thront im Hunsrück. Zwar ist es nur eine Kunststoff-Statue, die als Kulisse im "Heimat"-Filmepos diente. Doch nach dem Ende der Dreharbeiten hat die Figur des Vaters der kommunistischen Diktatur auf den Straßen und Plätzen nichts mehr zu suchen - weder im Hunsrück noch sonstwo in einem demokratischen Land. Denn Lenin hat nichts hinterlassen, worauf die Welt heute stolz sein könnte. Im Gegenteil: Nach einem blutigen Umsturz im Herbst 1917 schuf er die Sowjetunion, einen Staat, der Unterdrückung, Unfreiheit und Terror verbreitete - sowohl im eigenen Land als auch in Osteuropa, das unter dem kommunistischen Joch leiden musste. Das Argument, dies alles geschah unter Stalins Herrschaft, greift nicht. Denn ohne Lenin und seine Ideen von der Diktatur des Proletariats hätte es Stalin nicht gegeben. Für die Abermillionen Opfer des kommunistischen Terrors und ihre Nachfahren - auch für mich und meine Familie - gleicht diese Statue einer Verhöhnung der Toten in sibirischen Gulags und Kellern des KGB. Lenin im Hunsrück - nein danke!


Ein stolzes Duo: Der Alterkülzer Steinmetz Eckard Braun ("Griffel") möchte, dass die Vier-Meter-Statue des Revolutionsführers Lenin auch künftig in der Gemeinde thront.   Foto: Werner Dupuis


Rhein-Hunsrück-Zeitung vom 24.11.2005, Seite 11.

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