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Rhein-Hunsrück-Zeitung vom 29.01.2003

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Wie Berlin ohne Strom und Wasser

Manfred Wagner reiste mit einer Friedensdelegation in den Irak und machte sich ein Bild der Lage - Bevölkerung lebt im Elend

In New York, London oder Berlin ist die Irak- Krise das Thema in der Politik. In Alterkülz nimmt Manfred Wagner den Konflikt ebenfalls sehr ernst. Als Reserveoffizier der Bundeswehr und Kriegsgegner machte er sich selbst ein Bild von der Lage in Bagdad und Basrah.

ALTERKÜLZ. Niemand auf der Welt scheint einen Krieg im Irak zu befürworten. Die Angst vor einem solchen Konflikt lähmt die Menschen überall. Manfred Wagner aus Alterkülz machte sich kürzlich selbst ein Bild davon, wie die Bevölkerung im Irak lebt, da sie im Kriegsfall auch unmittelbar betroffen sein würde. Wagner nahm an einer Friedensdelegation teil, die - organisiert vom Komitee "Initiative gegen das Irak- Embargo Deutschland" - ihn eine Woche in das Land an Euphrat und Tigris führte.

Im Zentrum der Reise standen die Menschen im Land, ihre humanitäre Situation. "Das tut weh, wenn man das sieht", resümiert Wagner. Die Lage, so seine Beobachtung, sei katastrophal: Altlasten aus dem ersten Krieg 1991 und das andauernde Embargo schwächen das ganze Land bis auf den heutigen Tag. Produktion und Gewerbe liegen danieder, ohne Ersatzteile sei schon lange keine Wirtschaft mehr im Irak möglich. "Einfuhren vom Bleistiften bis zu Medikamenten sind durch das Embargo verboten", erläutert Wagner.

Die Konsequenzen treffen vor allem die Kleinen und Schwachen. Die frühere Mittelschicht des arabischen Landes sei fast völlig verschwunden, es blieben sehr viele Arme und wenige, regimetreue Reiche übrig.

Die sechstägige Reise führte die Delegation zu Brennpunkten der humanitären Katastrophe im Irak. Auf dem Programm standen das "al- Mansour- Krankenhaus" in Bagdad oder das "Mutter- Kind- Krankenhaus" in Basrah. Wagner und seine Gruppe trafen sich mit Vertretern von Hilfsorganisationen, Einheimischen und Politikern, um während der kurzen Reise ein möglichst breites Bild zu gewinnen.

"Ein Krankenhausaufenthalt bedeutet Leid ohne Ende", so Wagners Eindruck. Hohe Krebsraten unter Kindern, Missbildungen und Totgeburten sind dort die Regel. Die Tropenkrankheit "Kala- Azar" zum Beispiel sei wieder aufgelebt. Mit einer Behandlung wäre sie vollständig heilbar, ohne Medikamente führt sie unweigerlich zum Tod. Da die entsprechenden Heilmittel fehlen, werden die Kranken einfach zum Sterben nach Hause geschickt.

Um das Leben im Irak nachvollziehen zu können, solle man sich etwa Berlin ohne Strom, fließend Wasser und Kläranlagen vorstellen. Ein Besuch im Elendsviertel "Saddam- City" in Bagdad unterstrich die Eindrücke über die Not. "Es herrscht überall Elend auf den Straßen", erinnert sich Wagner. Als Major der Reserve und Mitglied des Arbeitskreises "Darmstädter Signal" kennt sich Wagner mit internationaler Politik und Militärstrategie aus. Daher ist er darüber erschüttert, wie mit dem Irak verfahren wird. Das Embargo habe schon vor Jahren seinen Zweck erfüllt, "das Land kommt von selbst nicht mehr auf die Beine." Was bleibt, ist kontraproduktiv: Der Existenzkampf der Bevölkerung verhindere jede wirkliche Opposition. Isolierung und Druck von außen zwinge die Menschen, sich nach dem Regime zu richten.

Ein Gespräch mit dem stellvertretenden Ministerpräsidenten Tarik Aziz sowie ein Besuch der Nationalversammlung bestätigte die Erkenntnisse über die Diktatur: "Es ist nur eine vorgezeigte Demokratie mit drittklassigen Politikern", schüttelt Wagner den Kopf. Durchaus hätte sich der Reserveoffizier gern kritisch mit irakischen Militärs über deren Menschrechtsverletzungen unterhalten, doch ließ das Regime dies nicht zu.

Letztlich bleibe ein beschämender Eindruck für einen Menschen aus dem Westen. Die Menschen auf der Straße seien Ausländern gegenüber keineswegs feindlich gesinnt. "Von allen Seiten wird einem Freundlichkeit entgegengebracht, auch nach zwölf Jahren internationaler Isolierung." Dennoch seien es gerade diese Menschen, die von künftigen Bombardements als erste getroffen würden.

Wagners Fazit lautet, der Westen solle sich um eine Verbesserung der humanitären Situation bemühen. "Es fehlt dem Irak an innerer Freiheit, aber herbeibomben kann man die nicht", meint der Reservesoldat. Es bleibt sein Appell an die Politik, sich selbst von der desolaten Lage in dem armen Land zu überzeugen und sich gegen die Kriegspläne der Vereinigten Staaten zu wenden. Kay Baumgarten


Nach seinem Irak- Besuch ist Manfred Wagner erschüttert vom Leid der Menschen, und er braucht noch Zeit, um seine Eindrücke zu verarbeiten.  Foto: Kay Baumgarten


Rhein-Hunsrück-Zeitung vom 29.01.2003, Seite 15.

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